„Am Krampustag darf man so ziemlich alles!“ – Bildhauer Clemens Hübsch über den liebsten Brauch der Gasteiner
Wenn es Nacht wird über dem Gasteinertal, sich die Dunkelheit einer Samtdecke gleich über die Landschaft legt und vielerorts die Lichter in den Stuben angehen, dann beginnt am 5. und 6. Dezember die Stunde der Krampusse. An diesen beiden Tagen ziehen die wüst-aussehenden Gesellen von Haus zu Haus und vertreiben das Böse aus den warmen Stuben.
Der Krampus, oder auch Kramperl und Klaubauf genannt, ist aus dem vorweihnachtlichen Leben im Gasteinertal nicht wegzudenken. Mit furchterregenden, gehörnten Köpfen und dickem Fell sorgt er Jahr für Jahr für Gänsehaut bei Jung und Alt. Dass dieser Brauch seit mehreren Jahrhunderten die Wirren der Geschichte übersteht, derzeit mehr als 100 Passen (Gruppen bestehen aus mehreren Klaubaufs, dem Nikolaus, einem Korbträger und – ortsabhängig – einem Engerl) unterwegs sind und die Krampuszeit gar als die 5. Jahreszeit in Gastein bekannt ist, erzählt uns Clemens Hübsch in seiner gemütlichen Werkstatt. Denn der Bad Hofgasteiner ist nicht nur seit vielen Jahren begeisterter Klaubauf. Als einer der bekanntesten Krampuskopfschnitzer der Region, hat er seine Leidenschaft zum Beruf gemacht und gehört heute zu den stärksten Bewahrern des Brauches.
Gasteiner Krampusse sind ja weit über die Grenzen des Tales hinaus ein Begriff. Erzähl doch einmal ein bisschen über euch und den Brauch.
Das Besondere an uns ist zum einen, dass es kaum eine andere Region gibt, in der der Brauch durchgehend ausgeübt wurde. Trotz zweier Weltkriege gibt es keine Unterbrechung. Interessant an dieser Stelle ist, dass auch der Bau der Tauernbahn 1906 keinerlei Veränderung brachte. Die Einflussnahme der Gäste könnte sich ja ausgewirkt haben. So war es aber nicht, sondern das Gegenteil war der Fall. Durch die Menschenströme wurde den Einheimischen das Eigene, Ursprüngliche immer wichtiger.
Die Gasteiner Krampusse werden in der Zeit der Gegenreformation zum ersten Mal urkundlich erwähnt. 1728, wenn ich mich recht entsinne. Da kam das Wort ‚Percht’ erstmalig vor. Man sieht sehr schön, dass zu dieser Zeit der Krampus und der Percht noch nicht getrennt waren. Durch die Einflussnahme der Kirche wurde dann der Nikolaus in den Brauch eingeschleust. Um den ehemaligen Bischof von Myra gab es ja im ganzen deutschsprachigen Raum einen wahrhaften Kult, der sich bis zu uns in die Pongauer Täler verbreitete. Anscheinend geht dieser bis ins 6. Jahrhundert zurück. Und da Geschichte nichts Statisches ist, entwickelt sich der Brauch seitdem immer weiter.
Was unterscheidet denn die Krampusse von den Perchten?
Die Gasteiner Perchten sind Teil vom Pongauer Perchtenlauf und UNESCO-Weltkulturerbe. Der Unterschied zwischen Krampussen und Perchten ist die Funktion der Figur und das Datum. Klaubauf, also der Krampus, kommt dann, wenn die Nacht lang wird, der Percht nach der Wintersonnenwende, wenn das Licht wieder mehr wird. Der Krampus schaut, dass das Unreine, das Böse aus den Häusern verschwindet. Dafür kommt er am 5. und 6. Dezember in die Stuben der Menschen. Der Percht ist vielmehr ein Glücksbringer. Auch was die Fruchtbarkeit betrifft. Sein Erscheinen spielt sich draußen auf den Straßen ab. So lautet der Volksglauben. Früher, also Ende 17., Anfang 18. Jahrhundert, waren diese beiden Figuren einmal eins, heute gibt es ganz klare Unterscheidungen.
Man hört, dass am 5. und 6. Dezember Ausnahmezustand in Gastein herrscht. Wie laufen diese Tage ab?
Ausnahmezustand ist völlig richtig, denn am Krampustag darf man so ziemlich alles. Ein Beispiel: Normalerweise würde ich dem Bürgermeister nicht die Ohren reiben. Am 5. und 6. Dezember gehört so etwas dazu.
Im Idealfall kommt die Pass ins Haus hinein und trifft in der Stube auf die Familie. Auf Eltern mit Kindern und auch die Großeltern sollten nicht fehlen. Zuerst gehen Nikolaus, Korbträger und Engerl hinein. Nach dem Nikolausgedicht werden die Kinder befragt, ob sie denn brav gewesen seien. Nachdem der Nikolaus Kekse und Nüsse verteilt hat, rumpeln die Krampusse in die Stube. Da rührt sich was, wie man sich vorstellen kann.
Der Brauch spielt sich rein in den Häusern ab, oder gibt es einen Lauf bei dem alle Passen an einem Ort zusammenkommen?
Nein, den gibt es nicht. Das Wesen des Krampusbrauches in Gastein ist es, nach Hause zu den Menschen kommen. Die Straße ist nur die Verbindung, wo Passen aufeinander treffen. Dann wird gerempelt, ein etwas raues Begrüßungsritual!
Sind Bräuche generell wichtig für uns Menschen?
Ein echter Brauch erklärt sich ja selbst. Da passiert etwas Gutes. In Gastein wird das ernst genommen, das ist nicht Jux und Tollerei. Wenn wir jetzt vom Krampusbrauch sprechen, wird der ja von allen Gesellschaftsschichten toleriert, mehr noch, geschätzt. Die Türen werden gerne geöffnet und man freut sich. Also ja, Bräuche sind sehr wichtig!
Passt der Krampus noch ins 21. Jahrhundert?
Absolut! Ich glaube sogar, dass er wichtiger ist denn je. Denk an die Einflüsse, die tagtäglich auf uns einprasseln. Da würde man doch nie darauf kommen, dass ein Mensch sich noch vor einer Holzmaske fürchtet. Es funktioniert aber immer noch! Außerdem ist das Erlebnis einzigartig. Man stelle sich nur vor, dass es nach Einbruch der Dämmerung im ganzen Tal plötzlich laut wird und man Glockengeläut aus allen Richtungen hört. Das ist Gänsehaut pur. Ein ganz eigener Klang.
Wie läuft denn das Jahr einer Kramperlpass ab?
Stichtag für die 5. Jahreszeit ist der Kirchtag am 21. September. Genau Tag und Nacht-Gleiche. Zufall? Ich weiß es nicht. Da geht’s dann los mit der Krampuszeit. Es gibt bei uns den Spruch: „Vor dem Kirchtag redet man am Tisch nicht vom Krampus.“ Viele Passen, es gibt ja über 100 im ganzen Tal, haben an dem Tag die erste Sitzung. Je näher der Dezember kommt, desto öfter trifft man sich und organisiert den Lauf. Ruten werden gebunden, Körbe geflochten, Kekse gebacken. Es gibt viel zu tun. Und dann kommt der 5. Dezember und wir gehen los…
Krampusse gibt es viele im Gasteinertal. Wie kommt man aber darauf, diesem Brauchtum sein Leben zu widmen und beruflich Krampusköpfe herzustellen?
Bei mir nahm es den üblichen Anfang. Ich bin relativ spät, mit 18 Jahren, das erste Mal gegangen. Viele beginnen ja mit 16, 17. Den ausgeliehenen Kopf habe ich dann gekauft und ein Jahr lang getragen. Aber besonders glücklich war ich damit nicht. Ich wollte meinen eigenen Kopf haben. Der Vater eines Freundes hat selber geschnitzt, hat mir das Werkzeug geliehen und mich ein bisschen unter die Fittiche genommen. Nach einem Nachmittag war der Kopf grob fertig. Und mein ‚Lehrer’ ziemlich erstaunt, wie gut er geworden ist. So fing es an, auch wenn meine Eltern der Meinung waren, damit würde ich sicherlich niemals Geld verdienen. So kann man sich irren. Im Laufe der Zeit habe ich die Bildhauerausbildung gemacht und der Rest ist, wie vieles hier in Gastein, Geschichte. Das Schöne an meiner Arbeit ist, dass ich keine kurzlebigen Produkte herstelle, sondern im besten Fall mehrere Generationen damit Freude haben werden.
Clemens Hübsch, Jahrgang 1979, lebt in Bad Hofgastein, lebt in einer Partnerschaft und ist Vater einer Tochter. In seiner Werkstätte schnitzt und restauriert der freischaffende Künstler und Bildhauer hauptsächlich Krampusköpfe. Mit seiner Werkstatt-Pass versucht er seit 2010, die Vielfalt der Passen mit einem sehr traditionellen Stil zu bereichern. Neben seiner künstlerischen Tätigkeit ist er für ‚Jazz im Sägewerk’ tätig.
Auch Alexandra Meissnitzer hat sich mit Clemens Hübsch über den Krampuslauf im Gasteinertal unterhalten:
©Gasteinertal Tourismus und Clemens Hübsch
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